Fußball ist wie das Leben -

aber er ist nicht das Leben

Statement von Klaus Pfeffer, Generalvikar des Bistums Essen

Ich bin Fußball-Fan, seit ich denken kann. Und ich bin Schalke-Fan, seit ich denken kann. Ich weiß nicht, warum. Vermutlich, weil der Fußball in meiner Familie im Sauerland immer ein Thema war. Ein Onkel von mir war Schalker; mein Bruder ein Dortmunder. Der Amateur-Club meines Heimatortes, TuS Neuenrade, spielte damals in den 70ern in der höchsten Amateurklasse. Natürlich ging ich sonntags zum „Sportplatz“, wo damals noch mehrere hundert, zu Lokalderbys sogar zwei bis dreitausend Leute kamen.

Ich kann mich an große Spiele der Nationalelf erinnern, bei denen die ganze Familie vor dem Fernseher saß. Der WM-Sieg 1974 gehörte natürlich dazu. Im gleichen Jahr gewann mein Heimatverein die Westfalenmeisterschaft der Amateure – als der Sponsor wenige Jahre später seine Unterstützung versagte, ging es bergab. Heute spielt er in der Kreisliga A.

Bei den Schalkern war ich live dabei, als sie gegen Bayern München im Pokal das legendäre 6:6 erreichten. Höhepunkte waren natürlich die UEFA-Cup-Spiele der Euro-Fighter gegen Teneriffa und Mailand. Was für ein Jubel auf den Rängen, wildfremde Leute liegen sich in den Armen. Es ist die ungeheure Leidenschaft, die mich fasziniert und der Nervenkitzel, wenn es um etwas Großes geht. Wahnsinn, wenn das Stadion eskaliert, weil ein großer Sieg errungen ist.

Natürlich kenne ich auch die andere Seite. Bittere Niederlagen, Frust über grottenschlechte Spiele und die Vergeblichkeit in der Hoffnung auf den Schalker Meistertitel. Stattdessen durchleiden wir Blauweißen seit Jahren einen fußballerischen Leidensweg. Aber wir sind treu, geben die Hoffnung nicht auf.

Zugegeben, in den letzten Jahren komme ich nicht mehr so oft ins Stadion. Mein Beruf lässt mir nicht viel Freiraum. Wenn ich ehrlich bin, motiviert mich die Aussicht auf ständige Niederlagen derzeit auch nicht besonders. Aber ich verfolge jedes Wochenende den Ticker auf dem Handy.

Fußball hat religiöse Züge, ist für manche vielleicht so etwas wie ein Religionsersatz. Das hat auch damit zu tun, dass sich im Fußball das Leben spiegelt: Ein ständiges Ringen um Sieg und Niederlage. Anstrengung und Fleiß sind elementar, garantieren aber nichts. Wie im richtigen Leben spielt der Zufall eine große Rolle, Glück und Pech entscheiden wichtige Dinge. Es gibt Ungerechtigkeiten, die dem einen helfen, dem anderen schaden. Und nicht zuletzt sind die Rahmenbedingungen entscheidend: Finanzielle Möglichkeiten, Tradition, Umfeld, Sponsoren und vieles mehr sorgen dafür, dass die einen meist auf der Siegerstraße unterwegs sind; die anderen kaum eine Chance haben, oben mitzuspielen. Aber auch der Kampf um Euro-League-Plätze macht Spaß – und Abstiegskampf hat ebenfalls seinen Reiz.

Eines verbindet den Fußball aber doch mit Religion: Dieser Sport verbindet, führt Menschen zusammen. Genau das ist auch die Funktion von Religion, wenn sie recht verstanden wird. Das Spiel geht nur miteinander, genauso wie das Leben auf dieser Erde. Sieger und Besiegte gibt es zwangsläufig, aber sie reichen sich die Hände. Es wird akzeptiert, was nicht zu ändern ist. Jeder weiß: Wer heute siegt, kann morgen verlieren – und umgekehrt.

Natürlich gibt’s Krisen, Trainer-Entlassungen, frustrierte Fans und manchmal auch dünner besetzte Ränge. Aber das ist nicht von Dauer. Fußball ist wie das Leben – er fasziniert, motiviert, zieht Menschen in den Bann, lehrt vieles, was auch für das Leben wichtig ist: Niemals aufgeben. Den Erfolg genießen, aber auch wissen, dass er nicht von Dauer sein kann. Niederlagen akzeptieren und aushalten. Wieder neu beginnen, immer wieder. Die Menschen im anderen Team nicht als Feinde begreifen, sondern als Mitspieler, ohne die das Spiel gar nicht möglich wäre.

Und: In allem nicht vergessen, dass Fußball zwar wie das Leben ist, aber keinesfalls das Leben selbst. Fußball ist keine Religion, denn es geht hier nicht um das Letzte, das Größte und Wichtigste, das über diese Welt hinausweist. Vielleicht lässt er ein wenig erahnen, wie und was das Letzte, Größte und Wichtigste im Leben sein könnte, wenn die Begeisterung die Seele berührt, wenn das Spiel Menschen zusammenführt und sogar Nationen vereint. Ja, das mag der Fußball können in besonderen Momenten – und vielleicht auch bei dieser EURO 24, wenn viele Nationen ein großes Fest feiern: Dass wir in Europa und auf dieser Welt nur miteinander ein so wunderbares Spiel spielen können. Das gilt für das Zusammenleben in unserer Welt umso mehr: Nur miteinander – nicht gegeneinander können wir leben und über-leben.