You'll never walk alone

von Günther Klempnauer

Fußballfans in aller Welt identifizieren sich mit dieser Stadionhymne, die nicht nur das Wettkampfgeschehen auf dem Fußballrasen, sondern darüber hinaus unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen widerspiegelt.

„You’ll never walk alone“ ist ein Stück von Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein (Text) aus dem 1945 uraufgeführten Broadway-Musical Carousel, bei dem es um einen Karussellbremser geht, der aus finanzieller Not einen Raubüberfall begeht und sich danach umbringt. Für einen Tag darf er auf die Erde zurück. Seiner Tochter bringt er einen Stern mit, der ihr eine bessere Zukunft verheißt.

Der Songtext „You’ll never walk alone“ will Mut machen, in schwierigen Zeiten stark zu bleiben und niemals aufzugeben. Hier ein Auszug:

„Wenn du durch einen Sturm gehst, halte deinen Kopf oben

und fürchte dich nicht vor der Dunkelheit.

Am Ende des Sturms ist ein goldener Himmel.

Auch wenn sich alle deine Träume in Luft auflösen,

geh weiter, geh weiter – mit Hoffnung in deinem Herzen.

Und du wirst niemals allein gehen.“

Seit 1963 wird dieses Lied von den 40.000 Zuschauern im Liverpooler Stadion an der Anfield Road vor Spielbeginn angestimmt. Zudem immer dann, wenn die Fans das Gefühl haben, dass es nötig ist. Im Moment des Triumphs oder der Trauer oder zur Anfeuerung. Seit der Hillsborough-Katastrophe von 1989, bei der 97 Liverpool-Fans in Sheffield ums Leben kamen, steht in Anlehnung an den Song der Schriftzug „You’ll never walk alone“ im Vereinswappen des FC Liverpool.

„You’ll Never Walk Alone“ passt gut zu einem Fußballspiel. Es geht um Sieg und Niederlage, um schwierige Phasen und Rückschläge, es geht darum, niemals aufzugeben. Die Fans auf den Rängen fiebern mit ihrer Mannschaft, fühlen sich eins mit ihr, geben ihr das Bewusstsein der Solidarität und enger Verbundenheit. Dieses Lied schweißt Spieler und Fans zusammen, wie auch immer das Spiel verläuft, ob sie verlieren oder gewinnen, in Freud und Leid. „Du wirst deinen Weg niemals allein gehen müssen.“

Bill Shankly († 1981), der legendäre Trainer vom FC Liverpool, schöpfte auch in den letzten Tagen seines Lebens Trost und Hoffnung aus der Fußballhymne. Seine Asche wurde auf dem Rasen der Anfield Road verstreut. Vor jedem Heimspiel wird seither auch für ihn gesungen: „Du gehst niemals allein.“

In Deutschland wurde diese Fußballhymne bei der Trauerfeier für Robert Enke († 2009) in der AWD-Arena von Hannover gesungen. Im Dortmunder Westfalenstadion und im Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern gehört das Lied seit vielen Jahren zur Fankultur.

Doch bei aller Wertschätzung des Liedes sei die Frage erlaubt: Trägt seine Botschaft mich wirklich durch Krisenzeiten hindurch? Kurz gefasst lautet sie: Gib die Hoffnung nicht auf, die Zeit heilt deine Wunden. Nach dem Gewitter folgt Sonnenschein.

Gewiss, ein verlorenes Fußballspiel kann ich so bewältigen.

Es mag tröstlich und motivierend sein, wenn 40.000 Fußballfans hinter mir als Spieler stehen, mich trösten oder bejubeln. Aber keiner von ihnen kennt mich wirklich und kann mit mir mitfühlen. Ich bleibe auf einsamem Posten in der Masse.

Auf das Leben bezogen, frage ich mich: Wer geht auf meine Angst ein? Wer nimmt mir meine Schuld ab? Wer liebt mich bedingungslos? Wer gibt mir eine Lebensperspektive, wenn alles sinnlos erscheint? Wer nimmt mich an, wenn ich mich selbst nicht mehr annehmen kann? Wer begleitet mich, wenn ich durch dunkle Täler und schließlich durch das Tal des Todes gehen muss? Gibt es eine Hoffnung darüber hinaus?

Solche existenziellen Fragen standen erstmals vor mir, als ich als 14-Jähriger abends nach dem Konfirmandenunterricht durch einen tiefen dunklen Wald gehen musste. Da fiel mir mein späterer Konfirmationsspruch ein, den wir gerade im kirchlichen Unterricht besprochen hatten. Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern mit den Worten: „Ihr dürft sicher sein: Ich bin immer und überall bei euch bis an das Ende dieser Welt.“ Das war der erste Anstoß, über Gott und den Sinn meines Lebens nachzudenken.

Diese christliche Botschaft kommt in dem Choral „Abide with me“ (Bleib bei mir) zum Ausdruck, der seit 1922 bis heute vor jedem Pokal-Endspiel im Wembleystadion von 100.000 Zuschauern gesungen wird:

„Herr, bleib bei mir! Der Abend bricht herein.

Es kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein.

Wo fänd ich Trost, wärst du, mein Gott, nicht hier.

Hilf dem, der hilflos ist. Herr, bleib bei mir.“

Getextet hat das Lied der schottische Pfarrer Francis Lyte wenige Tage vor seinem Tod im Jahr 1847.

Was Fußballfans im Londoner Wembleystadion und nicht nur in Liverpool singen, geht über das Fußballspiel hinaus. Eine Botschaft, die Trost und Hoffnung spendet. Diese befreiende Glaubenserfahrung im täglichen Leben und Zuversicht auch über den Tod hinaus bezeugen die international bekannten legendären Fußballidole in diesem Buch.

Drei von ihnen, einer war ein hoher Funktionär, haben ihre Geschichte in der Erstauflage (2019) dieses Buches noch gelesen. Sie sind nicht mehr unter uns. Der unvergessene, allseits beliebte langjährige DFB-Präsident Egidius Braun bekannte mir: „Christus ist mein Erlöser und mein Vorbild, wie wir Menschen miteinander umgehen sollen.“ Kurz vor seinem Tod hat er mit großer Begeisterung auch die anderen Portraits bewundert.

Abschied von dieser Welt hat auch Horst Eckel genommen, der legendäre Fußballweltmeister von 1954. Er war ein tiefgläubiger Christ, dem ich auf dem Fußballplatz der JVA Siegburg begegnete. Gott sei überall zu finden, also warum nicht auch im Fußball, sagte er. Aus meinem Buch musste sein Schwiegersohn ihm vorlesen, weil seine letzten Tage gekommen waren.

Mit Uwe Seeler, dem populärsten deutschen Fußballidol, habe ich schon als 17-Jähriger Fußball gespielt. Als ich ihm im besten Mannesalter mein Buch „Wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte“ überreichte, kam er auf den Tod zu sprechen: „Wenn wir wieder einen guten Freund zu Grabe getragen haben, taucht plötzlich die Sinn- und Gottesfrage auf“, reagierte er. Bei der Fußball-Europameisterschaft in Göteborg 1992 wurden wir beide fotografiert. Stolz präsentierte Uwe Seeler von sich aus mein gerade veröffentlichtes Buch „Wenn Gott ins Spiel kommt“. Gott hat sein Spiel auf dieser Erde abgepfiffen.

Dieser Text wurde entnommen: Günther Klempnauer: Keiner kommt an Gott vorbei. Fußball-Legenden über Glaube. Liebe. Hoffnung; 264 Seiten, mit zahlreichen Farbfotos; erschienen im St. Benno Verlag; ISBN: 978-3-7462-6547-6